Schlepplifte sind seit über einem Jahrhundert ein fester Bestandteil der Seilbahnwelt. Wintersportler schätzen das Transportmittel seit jeher zur Vermeidung mühsamer Aufstiege vor der nächsten Abfahrt im Pulverschnee. Und auch wenn Schlepplifte heute immer häufiger komfortableren Sesselbahnen und Kabinenbahnen weichen müssen, sind sie noch immer weltweit in grosser Stückzahl im Einsatz. Viele von ihnen gleichen sich, doch manche stechen aus der Masse heraus. Der Schlepplift Hohstock auf der Belalp im Wallis ist der vielleicht herausragendste von allen. Nicht nur wegen seiner spetakulären Trassierung bis in über 3000 Meter Höhe, sondern vor allem auch wegen seiner einmaligen Technik. Doch was macht ausgerechnet diesen Schlepplift so besonders?
Zur Geschichte des Bügelskilifts
Im Laufe der Historie haben sich verschiedene Schleppliftsysteme etablieren können. Von kleinen Seilliften, an denen sich die Fahrgäste einfach mit den Händen festhalten bis hin zu Schleppliften, die auf Gletschereis in die höchsten Regionen der Erde vordringen, ist die Bandbreite riesig. Das heute im deutschsprachigen Raum populärste System geht auf eine Erfindung des Schweizer Ingenieurs Ernst Constam zurück. Der Bügellift, wie wir ihn heute kennen, erblickt 1934 in Davos das Licht der Welt. Am Bolgenhang unterhalb des Jakobshorns nimmt ein Prototyp den Betrieb auf, unzählige weitere Anlagen folgen bereits kurze Zeit später. Der Nachfolger des Erstlingswerks ist übrigens heute noch an selber Stelle in Betrieb.
Das Prinzip mit seinen zweiplätzigen Bügeln ist zu jener Zeit das komfortabelste Schleppliftsystem. Doch es hat einen zentralen Nachteil. Der Einzugsapparat zum Aufwickeln des Schleppseils ist über einen Gehängearm mit einer Klemme verbunden, die von der Seite ans Förderseil greift. Normale Stützen können von den Bügeln so problemlos passiert werden. Wegen ihrer Bodengebundenheit ist es bei Schleppliften aber häufig auch erforderlich, Hindernisse und steile Passagen zu umfahren. Derartige horizontale Ablenkungen sind beim System von Constam jedoch im Normalfall nur in eine Richtung möglich. Greift die Klemme beispielsweise von links ans Seil, kann nur eine Kurve nach rechts erfolgen. Bei einer Ablenkung nach links stünde die Klemme im Weg.
Kurven zum Umfahren von Hindernissen
Zahlreiche Hersteller nehmen sich im Laufe der Jahrzehnte dem Problem an und finden unterschiedlichste Lösungen. Im einfachsten Fall umfährt nur die bergfahrende Seite ein Hindernis, während die talfahrenden Bügel auf direktem Weg zur Talstation zurückkehren. Bei einem solchen Dreiecksschlepplift erfolgt die Ablenkung stets nur in eine Richtung. Die sogenannte Zwirbelkurve lenkt das talfahrende Seil alternativ auf spektakulären Turmkonstruktionen gleich zwei Mal um, bis es wieder in die gewünschte Richtung verläuft.
All diesen Lösungen ist aber gemein, dass sie trotzdem nur eingeschränkt Kurven befahren können. Das erste voll kurvengängige System entsteht in den 60er Jahren und wird vom Schweizer Seilbahnhersteller Baco patentiert. Bei dieser Idee werden die Klemmen mit zusätzlichen Abweiserkappen ausgestattet, die bei Ablenkungen nach aussen auf einer speziellen Umlenkscheibe einzelne Nocken nach oben drücken und die Kurve so passieren können.
Das System Küpfer mit zwei Förderseilen
Das technisch wie optisch wohl ausgefallenste System geht aber auf einen anderen Hersteller zurück. Die Firma Küpfer aus dem Berner Oberland löst das Kurvenproblem auf besonders elegante Art und Weise. Die Klemmen der Schleppgehänge werden je nach gewünschter Richtung beim Befahren einer Kurve einfach auf die Seite gedreht, auf der sie nicht im Weg stehen. Was nach einem simplen Trick klingt, gestaltet sich in der Praxis aber etwas komplizierter. Mit einem einzelnen Seil ist die Drehung nicht zu bewerkstelligen. Daher setzt Küpfer zwei parallel geführte Förderseile ein, wobei die Klemmen von der Mitte aus an beide Seile greifen.
Im Normalfall verlaufen die beiden Seile horizontal nebeneinander. Soll nun eine Ablenkung in horizontale Richtung erfolgen, sei es in der Tal- und Bergstation oder bei einer Kurve, werden die beiden Seile so geführt, dass sie schliesslich vertikal stehen. Zum Befahren einer Linkskurve wird das in Fahrtrichtung rechte Seil angehoben, sodass die Klemme nun von rechts an die beiden Seile greift. Bei einer Rechtskurve ist der Ablauf genau seitenverkehrt.
Das letzte Exemplar am Hohstock auf der Belalp
1976 kommt das System erstmalig zum Einsatz. Viele Exemplare kann Küpfer mit seinem Spezialsystem mangels Bedarf aber nicht errichten. Und so ist heute nur noch ein einziger solcher Schlepplift in Betrieb – am Hohstock auf der Belalp. Die Anlage aus dem Jahr 1982 ist gleichzeitig die letzte, die mit den kuriosen beiden Förderseilen ausgestattet wird. Zudem ist der Schlepplift auch der einzige, der die Möglichkeiten des Systems mit seinen beiden Kurven nach links und rechts voll ausschöpft. Denn alle anderen solchen Anlagen besitzen jeweils nur eine echte Kurve. Ein Problem also, das man auch mit konventionellen Ansätzen hätte lösen können.
Doch nicht nur die beiden Kurven machen den Hohstock-Schlepplift so einmalig, sondern auch seine Trassierung und die Bergkulisse. Bereits die Talstation befindet sich in einer Höhe von über 2600 Metern über dem Meer. Sie beherbergt nicht nur die laute Antriebsanlage, sondern auch eine Einrichtung zum Abspannen der Förderseile mit einem Gegengewicht. Der Schlepplift befindet sich damit im oberen Teil des Skigebiets auf der Belalp, das ab den 70er Jahren sukzessive vergrössert wird. Der Hohstocklift ist die letzte Etappe dieses Ausbaus.
Ein Schlepplift mit vielen Besonderheiten
Von der Talstation aus geht es zunächst gemächlich bergauf bis zur ersten Kurve, wo der Schlepplift scharf nach links abbiegt und der steilste Abschnitt beginnt. 452 Höhenmeter überwinden die Bügel insgesamt auf der gut anderthalb Kilometer langen Strecke. Von unterwegs erscheint die Fahrt gar nicht so spektakulär. Erst aus der Ferne wird deutlich, wie nah der Schlepplift speziell im Mittelteil an steil abfallenden Felswänden entlangführt.
Mit teils nur einseitigen Stützen geht es immer steiler hinauf in Richtung der zweiten Kurve. Der Schlepplift dringt nun in ein von Gletschern geformtes Kar unterhalb des namensgebenden Hohstockgipfels vor. Kaum ist die zweite Kurve passiert, betritt der Lift gänzlich neues Territorium. Denn zum Zeitpunkt seiner Eröffnung ist dieser Bereich noch von Gletschern bedeckt. Auch wenn sich das Eis mittlerweile dezimiert hat, so resultiert aus den einstigen Gegebenheiten noch eine weitere Besonderheit. Dort, wo die letzte Stütze eigentlich stehen sollte, lässt das Eis keine gewöhnliche Bauweise zu. Küpfer entscheidet sich daher zum Bau einer weiteren spektakulären und einmaligen Konstruktion. Die letzte Stütze wird mit Halteseilen an den umliegenden Felswänden verankert und scheint über den Skifahrern zu schweben.
Hohstock – Das ultimative Schlepplift-Erlebnis
Auch die Bergstation wird höchst unkonventionell weit oberhalb des eigentlichen Ausstiegspunkts am Rand des Kars platziert. Weil dort aber kein Platz für zusätzliche Rollenbatterien ist, werden die Bügel nicht wie sonst üblich durch eine horizontale Umlenkscheibe zurück auf die Reise ins Tal geschickt. Stattdessen ist die Umlenkscheibe geneigt und sorgt dafür, dass die Bügel trotz Führungsschienen gewaltig durch die Luft schleudern. Ein beeindruckendes Schauspiel, das diesen einmaligen Schlepplift nur noch spektakulärer macht.
Der Hohstocklift besitzt damit schlichtweg alle denkbaren Zutaten, die einen Schlepplift interessant machen. Auch ohne das System mit den beiden Seilen wäre er wahrscheinlich schon ein heisser Kandidat für die Schlepplift-Hall-of-Fame. So aber ist ihm ein Platz im Seilbahn-Olymp erst recht gewiss. Die Landschaft, die Trassierung, die vielen Besonderheiten und die beeindruckende Technik machen ihn zum vielleicht grossartigsten Schlepplift der Welt. Und selbst wer auf all das keinen Wert legt, sondern einzig am Skifahren interessiert ist, dem sei gesagt: Der Lift erschliesst auch eine ganze Reihe einmaliger und anspruchsvoller Abfahrten. Eine davon führt im Tunnel durch den Berg in ein abgelegenes Hochtal ohne jegliche Infrastruktur. Am Hohstock ist eben absolut nichts normal!
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.
Umfassendes Video zum Hohstocklift: https://www.youtube.com/watch?v=x4Av3jGKee8
Und als Ergänzung noch auf Deutsch: https://www.youtube.com/watch?v=parjWTwVS1s