Sie sind ein Synonym für Skigebiete in den französischen Alpen. Die legendären Eiergondelbahnen des Seilbahnpioniers Poma aus Grenoble. Ab Ende der 60er Jahre sind sie an unzähligen Orten in Frankreich und auf der ganzen Welt anzutreffen und revolutionieren die Art und Weise, wie Wintersportler in die Höhe schweben. Viele original erhaltene Exemplare sind heute nicht mehr im Einsatz. Doch eine der wenigen Ausnahmen findet sich noch im renommierten Skigebiet Les Deux Alpes.
Etwas unscheinbar am Front de Neige gelegen sausen die Kabinen wie fleissige Bienen aus der Talstation hinaus und wieder hinein. Im Inneren sorgen die diversen technischen Einrichtungen für eine einmalige Akustik. Typisch für das Mitte der 60er Jahre entwickelte System sind die schrägen Ebenen, die die Kabinen nach dem Lösen vom Förderseil abbremsen und nach dem Fahrgastwechsel wieder beschleunigen. Und allen voran natürlich die kultigen Kabinen für je vier Personen, deren Wände zum Öffnen einfach zur Seite klappen. Echte Türen besitzen die Eiergondeln nämlich nicht. Und kaum sind die beiden Hälften wieder zusammengeklappt, geht es auch schon mit heftigem Schaukeln und Rumpeln auf die gut 1,6 Kilometer lange Strecke.
Frankreich und die Skistationen vom Reissbrett
Einen Ausblick wie diesen gepaart mit dem einmaligen Fahrgefühl geniesst man in den französischen Alpen ab den 60er Jahren an unzähligen Orten. Anders als in den Nachbarländern entstehen die Aufstiegshilfen nicht wahllos an verschiedenen Stellen, sondern finden sich in von Grund auf durchgeplanten Retortenstationen. Die sogenannten „stations intégrées“ sehen vor, dass die Gäste auf der Vorderseite zum Hotel oder Appartement vorfahren können und auf der Rückseite förmlich auf die Skipiste fallen. Ein Erfolgsmodell, das auch in Les Deux Alpes Ende der 60er Jahre Gestalt annimmt. Natürlich unter Rückgriff auf die bewährte Technik der „Télécabine Automatique“ von Poma.
Zur Entstehung der Poma-Eiergondelbahn
Die Entstehungsgeschichte dieses Seilbahntyps ist ähnlich kurios wie seine Technik. Jean Pomagalski geniesst mit seiner Firma Mitte der 1960er Jahre bereits weltweite Bekanntheit durch seine in Grossserie produzierten kuppelbaren Stangenschlepplifte. Immer häufiger sind in den Alpen zu jener Zeit aber auch kuppelbare Sessel- und Kabinenbahnen anzutreffen. Auch in Frankreich sind diverse Tüftler und Firmen seit den 1950er Jahren im Bau derartiger Anlagen tätig. Das Problem bei diesen Bahnen ist jedoch der personalintensive Betrieb bei meist magerer Förderleistung. Umständlich müssen die Kabinen von Hand durch die Stationen geschoben werden, ebenso erfolgt das Öffnen und Schliessen der Türen manuell. Ein körperlicher Kraftakt für das Personal und ein wenig zufriedenstellender Zustand für die Gäste in den langen Warteschlangen.
Poma macht sich daher Gedanken über eine vollständige Automatisierung des Betriebs. Gemeinsam mit der Firma Sacmi entwickelt der Hersteller daraufhin ein System, bei dem die Kabinen die Station komplett selbständig durchfahren. Sacmi ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerem im Bau kuppelbarer Kabinenbahnen tätig und bringt die notwendige Expertise in Sachen Kuppeltechnik mit. Ergebnis der Entwicklung ist eine neuartige Seilklemme, die bei der Ein- und Ausfahrt automatisch betätigt wird und für einen sicheren Halt am Förderseil sorgt. Den damaligen Vorgaben entsprechend kommen bei den geplanten vierplätzigen Kabinen je zwei Klemmen zum Einsatz. Kleine Fördereinrichtungen in den Stationen sorgen dafür, dass die Kabinen auch nach dem Lösen vom Förderseil kontinuierlich weitertransportiert werden. Teilweise nutzt Poma hierfür auch die Gravitation aus, indem die Schienen mit einem leichten Gefälle ausgestattet werden. Ein Reifenförderer im Stationsumlauf sorgt für den korrekten Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kabinen.
Œufs Blancs – Die weissen Eiergondeln
Für den Bau der Kabinen selbst zeichnet die Firma Sigma Plastique verantwortlich. Die Konstruktion mit ihren zwei aufklappbaren Hälften ist revolutionär. Auf diese Weise spart sich Poma den Einbau eines aufwendigen Türmechanismus‘ und kann den Öffnungs- und Schliessvorgang ebenfalls automatisieren. Beim Prototyp, der 1967 in Val d’Isère den Betrieb aufnimmt, ist diese Technologie anfänglich noch nicht im Einsatz, wird aber schnell nachgerüstet. Ein Hebel oberhalb des Kabinendachs dient seither zur Betätigung des Klappmechanismus‘. Aufgeklappt werden dabei übrigens ausschliesslich die Seitenwände, die Sitzkonstruktion für die Fahrgäste ist fest mit dem Gehängearm verbunden.
Mit der Kabinenbahn Œufs Blancs in Richtung Gletscher
Vor dem Hintergrund der anstehenden olympischen Winterspiele in Grenoble 1968 und dem damit verbundenen Ski-Boom erhofft sich Poma einen grossen Absatzmarkt für sein neues System. Und die Erwartungen sollen nicht enttäuscht werden, denn binnen weniger Jahre verdrängt die automatische Kabinenbahn alle anderen Kuppelsysteme in Frankreich und bereitet auch der Konkurrenz im Ausland mächtige Kopfschmerzen. Es dauert nicht lange, bis alle namhaften Hersteller die Ideen von Poma mit eigenen Neuentwicklungen nachahmen. Und so kommt Poma Anfang der 70er Jahre auch in Les Deux Alpes zum Zug. Das Gebiet verfolgt seinerzeit eine rapide Expansionsstrategie und hat unter anderem den über 3000 Meter hohen Glacier de Mont de Lans im Visier. In drei Sektionen soll eine Kabinenbahn das Areal für ganzjähriges Skivergnügen erschliessen.
Der zweite Teilabschnitt von der bereits erschlossenen Station Les Crêtes nach La Toura wird in der Folge aufgrund des unwegsamen Terrains jedoch zunächst als Seilkletterbahn mit selbstfahrenden Grosskabinen realisiert. Nur auf der dritten Sektion nimmt 1972 eine Poma-Kabinenbahn den Betrieb auf. Die erste Teilstrecke der neuen Seilbahnkette folgt im Jahr darauf mit der Kabinenbahn Jandri 1. Oder Œufs Blancs, wie sie in Anlehnung an ihre weissen Kultkabinen heute genannt wird. Einige teuflisch rote Exemplare hat sie übrigens von ihrer ebenfalls 1973 eröffneten Schwesteranlage Diable übernommen, welche 2011 einer Sesselbahn weichen muss.
Bleibt ein letzter Zeitzeuge der revolutionären Technik?
Die Kabinenbahn Œufs Blancs ist die letzte auf der einstigen Achse zum Gletscher, die bis heute überlebt hat. Die Seilkletterbahn wird nach einem tödlichen Unfall bereits 1973 in eine klassische Pendelbahn umgebaut und 2018 ersatzlos aufgegeben. Die dritte Sektion weicht im Jahr 2001 einer Achtersesselbahn. Eine Ergänzung findet sich auf der Strecke ohnehin bereits seit Mitte der 80er Jahre in Form des DMC Jandri Express. Diese monumentale Seilbahn soll in Kürze einer neuen 3S-Kabinenbahn weichen. Dann sind auch die Tage der Kabinenbahn Œufs Blancs gezählt. Seit der Stilllegung der Folgesektion hat ihre strategische Bedeutung für das Skigebiet ohnehin deutlich abgenommen. Mit der höheren Förderleistung der geplanten Ersatzanlage für den Jandri Express ist ein weiterer Betrieb nicht mehr zu rechtfertigen. Eine der letzten fast gänzlich original erhaltenen Poma-Eiergondelbahnen wird dann für immer von der Bildfläche verschwinden.
Ein aus seilbahntechnischer und historischer Sicht herber Verlust. Die mittlerweile über ein halbes Jahrhundert alte Technik veranschaulicht die Anfänge des Skigebietsausbaus durch leistungsstarke Anlagen wie keine andere. Die Welt der Seilbahnen und Skigebiete wäre heute eine andere, hätte Poma seinen damals revolutionären Ansatz nicht in die Realität umgesetzt. Und so bleibt zu hoffen, dass diese wegweisende Technologie, wenn schon nicht in Les Deux Alpes, dann wenigstens anderswo noch länger erhalten bleiben kann.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.