5.40 Uhr. So früh bin ich auf der ganzen Reise noch nicht aufgestanden, aber heute lässt es sich nicht umgehen. Schließlich bin ich nicht zum Ausschlafen unterwegs, es ist eine Fotoreise. Und das beste Licht gibt es eben nun mal am frühen Morgen und späten Abend. Letztlich fällt mir das Aufstehen aber gar nicht so schwer, da ich zum einen ohnehin in einem Rhythmus lebe, der sich rund zwei Stunden vor der Ortszeit bewegt und mich zum anderen hoffentlich ein sehenswerter Sonnenaufgang erwartet.
Sonnenaufgang am Govettes Leap Lookout
So breche ich gegen 6.10 Uhr noch in völliger Dunkelheit von dem im engen Megalong Valley gelegenen Campingplatz auf. Ich kämpfe mich über die kurvenreiche und steile kleine Straße wieder hinauf nach Blackheath, wo um diese Zeit zu meinem Erstaunen schon reger Verkehr herrscht. Am Horizont wird es auch bereits langsam heller. Die letzten Sterne verschwinden und ein prächtiger Tag kündigt sich an.
Weit habe ich es nicht bis zum Govettes Leap Lookout, welches sich nur vier Kilometer außerhalb der Ortschaft befindet. Nachdem ich bereits gestern vor Ort war, finde ich mich auch schnell zurecht. Bei meiner Ankunft sind bereits zwei andere Fotografen mit Stativ in Position gegangen. Auch für mich bietet sich aber noch ein Platz auf dem Aussichtspunkt.
Insgeheim habe ich gehofft, dass sich im Tal noch ein wenig Nebel halten würde, auf den dann die ersten Sonnenstrahlen fallen. Doch das Wetter ist schon um diese Zeit nahezu perfekt. Und damit eigentlich gar nicht so gut geeignet für Sonnenaufgangsfotos. Letztlich ist es dann aber doch ein wunderbarer Ausblick, als die Sonne um 6.39 Uhr über den Horizont klettert und zuerst den Aussichtspunkt sowie wenig später auch die Baumkronen des Regenwaldes im Tal beleuchtet. Eine halbe Stunde lang fotografiere ich, fertige zahlreiche Belichtungsreihen an und breche schließlich meine Zelte ab, als das Licht gegen Viertel nach sieben langsam zu uninteressant wird, weil die Sonne zu hoch steht.
Gemütlicher Morgen in Katoomba
Auf dem Parkplatz lege ich im Anschluss eine kurze Frühstückspause ein, die nach dem Aufenthalt im kalten Wind sehr wohltuend ist. Zeit habe ich nun ohnehin genug. Mein nächstes Ziel, die Attraktionen der Scenic World in Katoomba, öffnet erst um neun Uhr seine Pforten. So lasse ich es gemütlich angehen und halte kurz hinter Blackheath noch einmal auf einem kleinen Rastplatz mit gutem Handyempfang, um meinen Blog zu aktualisieren. Gegen 8.40 Uhr erreiche ich schließlich Katoomba.
Die Scenic World von Katoomba
Völlig überrascht bin ich über den unglaublichen Betrieb, der sowohl im Ort selbst als auch vor dem Parkhaus am Eingang zur Scenic World herrscht. Himmel und Menschen sind hier anzutreffen, sodass ich Glück habe, noch einen freien Platz für meinen Camper ergattern zu können. Was machen die alle hier? Die Antwort auf diese Frage erhalte ich, als ich das Parkhaus verlasse und zum Eingang der Scenic World marschiere. In Katoomba und Umgebung finden an diesem Wochenende verschiedene Langstreckenläufe statt. Heute ist ein Halbmarathon an der Reihe, morgen folgen Läufe über 50 und 100 Kilometer Länge. Das Start- und Zielgelände befindet sich direkt vor dem Haupteingang. Daher weht also der Wind!
Obwohl sich auch vor dem Eingang zur Scenic World zahlreiche Personen aufhalten, folgen mir nur wenige, als sich wenige Minuten nach neun Uhr die Pforten öffnen. Die meisten konzentrieren sich auf das Geschehen rund um den in Kürze startenden Lauf. Daher kann ich ohne Wartezeit ein Tagesticket für die Scenic World an der Kasse erwerben. Scenic World. Das ist nichts anderes als der Name einer Touristenattraktion im Jamison Valley nahe Katoomba, die das Tal mit verschiedenen Seilbahnen erschließt und damit ein recht unbeschwertes Wandervergnügen ohne zähe Aufstiege ermöglicht. Das Gelände ist auch frei, ohne Erwerb eines Tickets zugänglich. Aber selbstverständlich investiere ich gerne in ein paar weitere australische Seilbahnfahrten. Viele habe ich ja bislang noch nicht erleben dürfen.
Geschichte des Tourismus in den Blue Mountains
Drei Anlagen umfasst der Seilbahnpark von Katoomba. Zwei Luftseilbahnen sowie eine Standseilbahn. Letztere ist, so kann man sagen, der Grund dafür, dass die Region hier heute überhaupt so touristisch erschlossen ist. In den 1880er Jahren wurde auf der Trasse der heutigen Bahn eine Standseilbahn gebaut, um Kohle, die im Tal abgebaut wurde, hinauf nach Katoomba zu befördern. Schon bald erkannte man aber das touristische Potential einer Anlage, die auch Wanderern die Regenwaldlandschaft zugänglich machen könnte. Zunächst nur temporär, nach der Einstellung des Kohleabbaus ab 1945 dann dauerhaft, wurden auf der Standseilbahn statt Waren- nun Personenwagen eingesetzt, die fortan das Tal für Wanderer erschlossen. Die Bahn erfreute sich derart großer Beliebtheit, dass sie immer wieder erneuert und die Förderleistung erhöht wurde.
Im Dezember 2000 erfolgte eine Erweiterung des Anlagenparks in Katoomba mit der Eröffnung einer einspurigen Luftseilbahn. Die neue Bahn verläuft seither nahezu parallel zur Standseilbahn, beginnt aber ein gutes Stück weiter unterhalb im Tal und ermöglicht damit eine Rundreise auf einem kontinuierlich leicht abfallenden Weg von der Standseilbahn zur Talstation der Luftseilbahn durch den Regenwald. 2013 erfolgte schließlich die bislang letzte umfassende Sanierung der Standseilbahn. Dabei wurden das Gleisbett, die Wagen sowie die elektrische Einrichtung erneuert.
Mit dem Scenic Skyway hoch über dem Regenwald
Meine erste Seilbahnfahrt des heutigen Tages bestreite ich aber nicht mit einer der beiden erwähnten Anlagen, sondern mit der dritten Bahn im Bunde, dem sogenannten Scenic Skyway. Auch hierbei handelt es sich um eine einspurige Luftseilbahn, die ihre Bergstation wie alle Bahnen im zentralen Eingangsgebäude besitzt. Auf ihrer Strecke überwindet sie nahezu keine Höhenmeter, überquert aber in einer maximalen Höhe von 271 Metern über dem Boden den Regenwald. Damit bietet sie nicht nur durch den Glasboden der Kabine eine sehenswerte Aussicht.
Zu meinem Erstaunen erfolgt der Zutritt zur Kabine über Türen auf den Stirnseiten und nicht wie üblich von der Seite. Der Grund dafür leuchtet jedoch schnell ein. Die Hälfte der Kabinenseitenwände ist nicht mit Fenstern bestückt, sondern lediglich mit einer offenen Stahlseilkonstruktion, damit die Aussicht in vollen Zügen genossen werden kann. Die heutige, 2004 eröffnete Bahn ist, wie ich vor Ort erfahre, nicht die erste auf dieser Strecke. Bereits seit 1958 ist es möglich, den Regenwald hier in luftiger Höhe mit einer kleinen Kabine zu überqueren. Die Bahn war das Werk eines lokalen Tüftlers und wurde während ihres knapp fünfzigjährigen Bestehens mehrmals saniert und umgebaut, bis sie schließlich weder aktuellen Sicherheitsstandards noch dem Personenaufkommen gewachsen war und daher durch die aktuelle Luftseilbahn ersetzt wurde.
Auf der ersten Fahrt des Tages haben sich außer mir nur vier weitere Leute eingefunden. So kann ich problemlos in alle Richtungen fotografieren. An der östlichen Station angelangt entscheide ich mich zunächst für eine Wanderung entlang einiger Klippen, die mich immer in sicherem Abstand vor den senkrecht abfallenden Wänden zu einem weiteren Aussichtspunkt mit Besucherzentrum führt. Hier, am sogenannten Echo Point, ist um diese Zeit bereits die Hölle los. Ich muss mir einen Platz zum Fotografieren regelrecht erkämpfen, so voll ist die Besucherplattform.
Die Treppe an den Three Sisters
Daher suche ich auch schnell wieder das Weite, das ich in Form eines Wanderwegs zu den Three Sisters finde. Die drei Schwestern sind eine Felsformation, die – wenig überraschend – aus drei einzelnen Gipfeln besteht, welche schon in der Kultur der Aborigines eine besondere Verehrung erfuhren. An ihnen vorbei führt ein Wanderweg, bei dem es sich bei näherer Betrachtung um eine Treppe handelt. 900 steile Stufen sind hier zu überwinden, bis man den Talgrund erreicht und die drei Schwestern einmal umrundet hat.
Das ist mir dann doch etwas zu viel des Guten. Auch wenn es vom Talboden nicht mehr weit zur Talstation der anderen Luftseilbahn ist, so möchte ich doch lieber wieder auf dem Weg zurückgehen, auf dem ich gekommen bin. Auf diese Weise kann ich noch ein paar Fotos der Skyway-Seilbahn machen. So steige ich nach einer kurzen Visite der obersten der drei Schwestern rund 100 der Stufen wieder hinauf, wo ich kurze Zeit später leicht außer Atem auch das Besucherzentrum am Echo Point wieder erreiche.
Mit der steilsten Standseilbahn der Welt ins Jamison Valley
Rund eine halbe Stunde bewege ich mich noch entlang jener Seilbahn, die keinen Höhenunterschied überwindet. Ich fotografiere sie aus allen denkbaren Perspektiven, bevor ich wieder zur Station zurückkehre. Von hier aus schwebe ich ein weiteres Mal über den Regenwald und wechsele im Besucherzentrum zur Standseilbahn. Inzwischen herrscht auch hier ein höllischer Betrieb und ich kann nur noch gerade so einen Platz in dem schon gut gefüllten Wagen ergattern.
Ihres Zeichens ist die Standseilbahn mit einer Steigung von bis zu 52 Grad die steilste der Welt. Die eineinhalbminütige Fahrt ist daher ein rechter Nervenkitzel, zumal es die Bahn im steilsten Abschnitt auch in Sachen Fahrgeschwindigkeit ordentlich krachen lässt. Hier kommt deutlich zur Geltung, wie die Seilbahnen in Katoomba nicht etwa wie sonst üblich nur als Transportmittel, sondern vor allem auch als Attraktion inszeniert werden. Als Seilbahnfan gefällt mir das natürlich bestens.
Wanderung durch den dichten Regenwald
Von der Talstation der Standseilbahn bieten sich mir drei mögliche Wege zur Talstation der Luftseilbahn. Von ihnen wähle ich die mit 50 Wegminuten längste, aber auch am wenigsten frequentierte Route. Sie führt mich durch den dichten Regenwald, wo ich immer wieder auf interessante Pflanzen und Bäume treffe. Besonders gut gefällt mir ein Baum, der bei einem verheerenden Buschfeuer im Jahre 1948 teilweise zerstört wurde, sich aber wieder vollständig regeneriert hat. Mit Ausnahme des Stamms, den seither ein langgezogenes Loch säumt.
Mit dem Scenic Cableway zurück nach Katoomba
Die anschließende Fahrt mit der Luftseilbahn bietet noch einmal einen letzten Ausblick über den Regenwald und die unberührte Natur. Am Ausgang des Besucherzentrums erlebe ich gerade noch den Zieleinlauf der letzten Marathonläufer mit, die unter lautem Applaus von der Masse angefeuert werden. Stärker könnte der Kontrast auf den wenigen Metern wirklich nicht sein. Entsprechend komme ich auch in der Folge mit dem Auto nur stockend voran, was mich aber nicht weiter kümmert. Noch habe ich genügend Zeit, bis ich wieder auf dem Campingplatz sein will. Nachdem mir der Platz von letzter Nacht so gut gefallen hat, nehme ich die 20 Kilometer Umweg gerne in Kauf, um dort noch einmal zu übernachten.
Letzte Campingnacht in der Natur
Eigentlich habe ich eine Raststätte auf dem Weg nach Sydney auserkoren. Aufgrund der uneinheitlichen Meinungen über die Zulässigkeit des Campens an diesem Ort will ich lieber nichts riskieren. Unterwegs halte ich noch einmal auf dem Rastplatz mit Handyempfang, um ein wenig meinen Aufenthalt in Sydney zu planen. Nach einer Stunde und vielen neuen Ideen für die kommenden drei Tage steuere ich wieder das Megalong Valley an, wo ich den Camper gründlich säubere und für die morgige Übergabe parat mache. Nach dem Abendessen, Fotos sichern und dem Schreiben des Tagebuchs bin ich nach dem anstrengenden und langen Tag froh, endlich ins Bett gehen zu können. Zum 64. und letzten Mal auf dieser Reise übernachte ich auf einem Campingplatz. In den verbleibenden Nächten darf ich dann, wie erwähnt, etwas luxuriöser auf ein Hotel zurückgreifen.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.