Locarno-Cardada • Sciovia distrutta

Eigentlich soll es ja mal … ganz woanders hingehen. Es gibt so viele Destinationen, in denen ich noch nie war und bei denen es mich sehr reizen würde, dort einmal skizufahren. Und so stellt sich Ende Februar die Frage, wo es denn in den Semesterferien nun hingehen soll. Frankreich steht ganz oben auf der Prioritätenliste, die Klassiker der Alpen von Chamonix bis zum Mittelmeer, das wäre doch mal was? Oder doch eher die gemütliche Variante und eine Abklappertour durch die Ost- und Zentralschweiz? Wallis wäre natürlich auch nicht verkehrt. Im Süden hat’s jede Menge Schnee, vielleicht wäre auch Italien eine Option?

Eigentlich soll es ja mal … ganz woanders hingehen

Die Devise lautet erst einmal abwarten, wie sich das Wetter entwickelt. Je nachdem wo die Sonne scheint, wird dann spontan entschieden. Da ich davor ohnehin ein paar Tage im Bündnerland verbringe, um die neue Verbindung zwischen der Lenzerheide und Arosa endlich zu testen, habe ich für alle Varianten einen guten Ausgangspunkt.

Irgendwann Anfang März zeichnet sich dann mehr und mehr ab, dass erstmals seit über drei Monaten eine stabile Hochdrucklage über den Alpen erwartet wird. Das Wetter wird überall hervorragend sein, was die Entscheidung nicht gerade leichter macht. Warum also nicht von allem ein bisschen? Die Ostschweiz wäre mit Graubünden schonmal abgehakt. Warum dann nicht über die Alpensüdseite ins Wallis und von dort weiter in die französischen Alpen?

Die Pläne nehmen nach und nach Formen an, sodass sich einen Tag vor der Abreise die folgende Route ergibt. Von der Lenzerheide zunächst über den San Bernardino nach Locarno, um dort der Cimetta einen Besuch abzustatten. Wer weiss schon, wie lange es dort noch weitergeht. Am selben Tag soll es dann durch das Centovalli und den Simplonpass nach Martigny gehen, wo wir während der nächsten Tage übernachten wollen und nach dem altbewährten Prinzip jeden Tag ein anderes Skigebiet in der Umgebung besuchen möchten.

Durch das Tessin ins Wallis

Am Vorabend der Reise bietet sich auf Booking.com ein unerwartetes Bild. In Martigny sind alle Hotels, die in Frage kommen, längst ausgebucht. Also mal nach Chamonix geschaut. Astronomische Preise, scheidet also auch aus. Rhôneaufwärts ist für uns die falsche Richtung, da wir uns ja eher nach Westen orientieren wollen. Also mal Richtung Genfer See geschaut und tatsächlich, in Saint-Maurice gibt’s freie Zimmer zu moderaten Preisen in Hülle und Fülle. Noch wissen wir nicht genau, warum das so ist …

Von den Palmen in Locarno zum Schnee auf Cardada

Am nächsten Morgen werden die Koffer startklar gemacht, die Skiausrüstung eingeladen und nach einer Fahrt ohne besondere Vorkomnisse erreichen wir noch vor der Mittagszeit die Talstation der Pendelbahn Orselina-Cardada, die vom oberen Stadtrand Locarnos den Einstieg in das kultige Skigebiet an der Cimetta ermöglicht. Hier geht’s dann auch schon los mit den ersten Problemen. Der Automat an der Einfahrt zum Parkhaus der Seilbahn ist defekt und gibt nur einen störenden Piep-Ton von sich. Freie Plätze sind noch auszumachen, aber was hilft das, wenn die Schranke sich nicht öffnet. Also wieder retour und woanders suchen.

Leichter gesagt als getan. Nach einer knappen halben Stunde finden wir dann endlich einen freien Stellplatz, rund 15 Fussminuten von der Talstation entfernt. Unter kritischer Beobachtung einiger Wanderer in kurzen Hosen und Hemden machen wir uns mit unserer Skiausrüstung unter Palmen hinweg auf zur Talstation der Seilbahn. Dort erwartet uns dann sogleich die nächste Hiobsbotschaft. Der Skilift Alpe Vegnasca wurde am Vortag wie schon im Winter 2009 von einer Lawine zerstört und ist verständlicherweise nicht mehr in Betrieb. Das schränkt die Auswahl an Abfahrten in dem ohnehin schon nicht besonders grossen Skigebiet noch weiter ein. Zudem erschliesst der Lift mit seiner Nordhanglage die mit Abstand besten Pisten. Alles andere bietet zwar einen grandiosen Blick auf den Lago Maggiore, dürfte aber aufgrund der Südhanglage bereits sehr weich sein.

Nach den ganzen Anstrengungen wollen wir aber nun auch nicht mehr umkehren, sodass wir trotz des eingeschränkten Betriebs nach oben fahren. Ausser uns ist nur eine weitere Person mit Skiausrüstung in der Kabine. Die Abfahrt verzögert sich schliesslich noch um weitere zehn Minuten, weil ein Fahrgast steif und fest behauptet, dass seine Fahrkarte auch für seine Frau gelten würde. Diese steht währenddessen vor dem sich verständlicherweise nicht mehr öffnenden Drehkreuz. Nach einer hitzigen Diskussion kauft sich die Frau dann schliesslich doch noch ein eigenes Billett und die Fahrt über vier Stützen und knapp 1000 Höhenmeter kann beginnen. Oben kommen wir dann endlich in für unsere Kleidung passendere Temperaturbereiche.

Impressionen von der Cimetta

Orselina mit Blick auf den Lago Maggiore und die Magadinoebene
Orselina mit Blick auf den Lago Maggiore und die Magadinoebene.

Sesselbahn Cardada - Cimetta

Sesselbahn Cardada - Cimetta
Weiter oben ist der Blick auf den Lago Maggiore dann leider durch die etwas diesige Luft getrübt. Wieder einmal mit der kultigen Seitwärtssesselbahn fahren zu können, macht das eingeschränkte Panorama dann jedoch wieder wett.

Sciovia Vegnasca chiusa
Was wir schon wissen, wird hier noch einmal bestätigt – am Vegnasca geht nichts mehr. Ärgerlich für uns, aber noch viel ärgerlicher für die Betreiber, denn der Skiclub kämpft ohnehin mit finanziellen Schwierigkeiten. Bleibt zu hoffen, dass der Schaden repariert und der Betrieb in der nächsten Saison wieder aufgenommen werden kann.

Skilift Cimetta
Nicht betroffen ist der Skilift Cimetta, ein weitgehend originales Garaventa-Urgestein aus den 60er Jahren. Die Gehänge wurden beim gross angelegten Umbau der Anlagen hier oben Ende des vergangenen Jahrtausends modifiziert, es handelt sich aber immer noch um Kurzbügel.

Panorama Cimetta
Die Aussicht von der Skipiste am Skilift Cimetta ist phänomenal, aber die Piste ist für Wiederholungsfahrten einfach zu flach und zu kurz. Als Übungshang aber natürlich ideal.

Skilift Cimetta
Der Skilift Cimetta mehr oder weniger in seiner kompletten Länge. Die geringe Höhenlage von 1600 Metern gepaart mit dem mediterranen Klima sorgt dafür, dass es sich hier mehrheitlich um einen Laubwald handelt – eine ungewohnte Kombination mit einem Skilift in den Alpen.

Skilift Cimetta
Skilift Cimetta kurz nach der Talstation – oder anders ausgedrückt – kurz vor der Bergstation. Hier kommen die enormen Schneemengen ein wenig zur Geltung.

Sesselbahn Cardada - Cimetta
Sesselbahn Cardada-Cimetta.

Trasse des ehemaligen Schlepplifts Plan di Üsei
Auf der sehr klebrigen Abfahrt entlang der Sesselbahn fällt der Blick auf halber Höhe auf die Schneise des ehemaligen Skilifts Pian Üsei, die letzte Neuerschliessung an der Cimetta. 1980 gebaut war der Lift nicht einmal 20 Jahre in Betrieb. Er diente in erster Linie als Rückbringer von der Talabfahrt zum Skilift Alpe Cardada, der wiederum zum Cimetta-Gipfel führte. Beide Anlagen wurden 1999 stillgelegt – ein herber Verlust, denn unterhalb des Pian Üsei ist die Abfahrt wenig spannend. Ein reiner Ziehweg, der bei den heutigen Schneeverhältnissen kein wirklicher Genuss ist.

Sesselbahn Cardada - Cimetta
Wieder unterwegs in der Sesselbahn.

Sesselbahn Cardada - Cimetta

Sesselbahn Cardada - Cimetta
Sesselbahn Cardada-Cimetta mit Abfahrt.

Skilift Alpe Vegnasca
Nach einer kurzen Mittagspause im Bergrestaurant Cimetta (mit grausiger Tiefkühllasagne…) machen wir uns auf zum Cimetta-Gipfel. Dabei kommen wir auch an der Bergstation des zerstörten Skilifts Alpe Vegnasca vorbei. Mit Baujahr 1961 ist der Garaventa-Skilift die älteste noch existente Anlage hier oben. Ein Glück besitzt er Kurzbügel, sonst wäre hier schaufeln angesagt!

Ausblick von der Cimetta auf die Magadinoebene
Blick über die Alpe Cardada auf die Magadinoebene. Ein Jammer, dass der Skilift hier nicht mehr existiert. 1951 erstellte Karl Brändle hier seine erste Skiliftanlage – damals musste der Wintersportler den Weg von der Pendelbahn-Bergstation noch zu Fuss zurücklegen. 1965 erfolgte der Ersatz durch ein Garaventa-Exemplar, das bis 1999 Bestand hatte.

Skilift Alpe Vegnasca
Beim Blick auf die Strecke des steilen Skilifts Alpe Vegnasca werden die Ausmasse der Lawinenbeschädigung deutlich :( .

Inzwischen hat sich der klebrige Schnee in besser zu fahrenden Sulz verwandelt, sodass wir noch einige Fahrten an der Sesselbahn unternehmen, ehe wir gegen 15.30 Uhr wieder die Talfahrt mit der Pendelbahn antreten. Wieder sind wir nahezu die einzigen Skifahrer in der Kabine, die anderen scheinen bis zum bitteren Ende um 17 Uhr hier oben auszuharren.

Luftseilbahn Orselina - Cardada
Talfahrt nach Orselina.

Über den Simplonpass nach Saint-Maurice

Um 16 Uhr setzen wir unsere Fahrt dann wie geplant fort Richtung Centovalli. Nachdem wir die Strecke bereits zwei Jahre zuvor gefahren sind, gibt es diesmal keine Fotostopps an den einschlägig bekannten Bahnen in Intragna und Rasa. Stattdessen geht es zügig voran und schon bald passieren wir die Grenze nach Italien, ehe wir Domodossola umfahren und den langen Anstieg zum Simplon in Angriff nehmen. Hier wird der Verkehr dichter und dichter, und zu allem Überfluss reiht sich eine Baustelle mit Einbahnverkehr an die nächste, sodass wir eine knappe Stunde verlieren, bis wir endlich in Brig wieder im Tal ankommen. Schliesslich erreichen wir gegen 20 Uhr unser Domizil in Saint-Maurice. Nach auspacken, duschen und essen ist der Tag dann auch schon fast gelaufen, bis auf eine wichtige Frage – wohin soll es morgen gehen?

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