Seilbahnen werden heute gedanklich in erster Linie mit Skigebieten in Verbindung gebracht. Und in der Tat besteht kein Zweifel daran, dass der Skisport noch immer der wichtigste Absatzmarkt für seilgezogene Aufstiegshilfen ist. Doch Seilbahnen finden seit Jahrhunderten auch in ganz anderen Bereichen Einsatz. Eine der ältesten Formen der Seilbahn für den Personentransport entwickelt sich im Zuge der industriellen Revolution aus der Eisenbahn heraus. Und dementsprechend wenig erstaunlich ist es, dass solche Standseilbahnen dank ihrer Schienen auf den ersten Blick auch eher wie eine Eisenbahn aussehen. Eine der ältesten noch optisch weitgehend im Originalzustand in Betrieb befindlichen Anlagen in Europa trifft man in der Stadt Fribourg in der Westschweiz an.
Wasserballast als energieneutrale Antriebskraft
Fribourg liegt zu weiten Teilen oberhalb der Saane, deren Wasser über die Jahrtausende an dieser Stelle einen tiefen Taleinschnitt geformt hat. Weil die Oberstadt durch die Gründung einer Universität und zahlreicher Gewerbeansiedelungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts rasant wächst, verlieren die tiefergelegenen Quartiere am Ufer der Saane zunehmend an Attraktivität. So entschliesst man sich 1897 zum Bau einer kurzen Standseilbahn, die die Unter- mit der Oberstadt verbinden soll. Das Funiculaire Neuveville-Saint-Pierre nimmt daraufhin im Februar 1899 den Betrieb auf.
Wie üblich zu jener Zeit greift man auf ein einfaches Mittel für den Antrieb zurück – die Schwerkraft. Die Standseilbahn wird dazu an das Kanalisationssystem der Stadt angeschlossen. In der Bergstation fliessen nach Eintreffen eines Wagens knapp 3000 Liter Abwasser in einen Tank, der unter dem Fahrzeugboden zwischen den Achsen montiert ist. Gleichzeitig entleert der zweite Wagen seinen Tank in der Talstation wieder in das Kanalisationsnetz. Lösen die beiden Wagenbegleiter nun die Bremsen, zieht der obere Wagen den unteren aufgrund seines Übergewichts den Berg hinauf, da beide über ein Drahtseil miteinander verbunden sind. Eine simple wie geniale Lösung, die den Energieverbrauch der Seilbahn auf den Wert Null reduziert.
Ein einmaliges Denkmal der Industriekultur in Fribourg
Gebremst wird bei der Anlage auch heute noch händisch durch den Wagenbegleiter. Diese regulieren die Fahrgeschwindigkeit über eine Bremsspindel, die auf ein Zahnrad wirkt, das in der Fahrbahnmitte in eine Zahnstange greift. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass die Wagen vor dem Eintreffen in der Station langsam abbremsen können. Und trotzdem erfordert das Eingreifen bei jeder Fahrt Feingefühl. Eine Zentrifugalkupplung sorgt dafür, dass beim Überschreiten der zulässigen Fahrgeschwindigkeit die Bremsen automatisch einfallen. Auch im äusserst unwahrscheinlichen Falle eines Seilrisses kämen die Wagen also sicher zum Stehen.
Heute ist die Standseilbahn Fribourg die letzte der Schweiz, die das Wasserballastprinzip im öffentlichen Personentransport noch anwendet. Ein einmaliges Denkmal der Industriekultur, das auch nach über 120 Jahren völlig zu Recht nicht nur ein wichtiges Transportmittel für die Einwohner von Fribourg ist, sondern auch ein Touristenmagnet.
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Felix ist Fotograf und Autor, spezialisiert auf Landschafts- und Reisefotografie und zu Hause im Saarland und der ganzen Welt. Wenn er nicht gerade in der Natur oder den Bergen unterwegs ist, schreibt er hier über seine Reisen, die Fotografie oder über sein liebstes Fortbewegungsmittel, die Seilbahn.